Predigt zum Reformationstag 2015

Predigt zu Mt 5,3-10: Die Liebe Gottes sei mit euch und sein Frieden komme über euch im Namen des dreieinigen Gottes, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Amen.

Liebe Predigthörerinnen und -hörer,


es gab einige, die mich angesprochen haben, ob sie die Predigt von letztem Samstag auch schriftlich haben könnten.


Diese Anfrage hat mich sehr gefreut und der damit verbundenen Bitte komme ich hiermit gerne nach.

Etwaige orthographische Fehler bitte ich zu entschuldigen, denn es gilt an dieser Stelle insbesondere das gesprochene Wort.


Vielen Dank für Ihre Teilnahme.


Es war für mich in allen Teilen ein rundum gelungener Abend.

Herzliche Grüße

Michael Stache

Ständig Stellvertretender Superintendent

Predigt:

Liebe Gäste, liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,


was macht sie selig?


Wenn ich diese Frage meinen Kindern stelle, dann schauen sie mich mit ganz großen Augen an und fragen zurück: Papa, was meinst du damit?


Mit diesem Begriff „selig“ können sie nur wenig anfangen.


Ein solches Unverständnis findet sich aber nicht nur bei Kindern und Jugendlichen. Auch viele Erwachsene können den Begriff „selig“ nur schwer einordnen.


Weinselig kennt man vielleicht noch. Das ist, wenn jemand, dem vergorenen Traubensaft in größerem Umfang zugesprochen hat.


Oder unter dem Begriff „redselig“ kann man sich etwas vorstellen. Das ist, wenn jemand sein ganzes Leben vor einem ausbreitet, der zwischen zwei Sätzen kaum Luft holt und dem es völlig reicht, wenn andere nur zuhören.


Aber „selig sein“ an sich gehört nur bei den wenigsten zum aktiven Wortschatz. Seltsamerweise gibt es auch nur ganz wenige Sprichworte mit dem Wort „selig“.


Ich habe mal die ganzen Sammlungen von Sprichworten und Redewendungen durchforstet. Das einzige mir wirklich bekannte, das ich dort gefunden habe, lautet: Geben ist seliger denn nehmen.


Viele verbinden mit selig sein so etwas wie glücklich sein. In Kombination deutet das Wort „Glückseligkeit“ diesen Zusammenhang schon an. Als Glückseligkeit bezeichnet man eine besondere Form des Glücks und der Zufriedenheit.


Das griechische Wort μακάριος (makarios) lässt tatsächlich auch diese beiden Übersetzungen zu: „glücklich und selig“.


Wenn man sich jedoch die Stellen in der Bibel anschaut, an denen es um Selig-Sein geht, dann schwingt dort noch mehr mit als nur das reine Glücklich-Sein. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass das Wort selig in der Bibel häufig dort auftaucht, wo die Beziehung zu Gott eine besondere Rolle spielt.


Selig sein heißt nicht nur das Glücklich-Sein des einzelnen Individuums, sondern es geht hier auch das „In Beziehung sein“ mit Gott. Damit hat das Selig-Sein eine ganz eigene Qualität.


Wer also selig ist, die oder der ist nah bei Gott. Die oder der liegen Gott besonders nah am Herzen.

Mit dieser Perspektive im Hinterkopf bekommt der heutige Predigttext noch einmal eine etwas andere Färbung.


Was macht selig?


Die Antwort auf diese Frage gibt Jesu in seiner Bergpredigt. Er sagt (Mt 5,3-10):

3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.


Trotz der zweitausend Jahre Abstand haben diese Worte Jesu nichts an Aktualität eingebüßt.

Wie Sie wahrscheinlich schon mitbekommen haben, soll morgen eine Veranstaltung der sog. NRW-Patrioten stattfinden. Da wollen einige gegen Flüchtlinge und die Islamisierung Deutschlands demonstrieren und auf die Straße gehen.


Wenn man dagegen sieht, was Jesus in der Bergpredigt als zentrale Botschaften formuliert, so wird deutlich, dass diese Bewegung mit einer solchen Aktion allen christlichen Werten widerspricht.

Gott ist nahe bei denen, die Leid tragen. Er ist bei den Friedfertigen und Sanftmütigen. Gott liegen die Menschen am Herzen, die nach Gerechtigkeit suchen. Er ist bei den Verfolgten und bei denen, die selber Barmherzigkeit zeigen.


Es kann und darf daher auch in unserem ureigensten, christlichen Selbstverständnis keine Abgrenzung von allem Fremden und vielleicht auch Ungewohnten geben, sondern ganz im Gegenteil. Als Christinnen und Christen sind wir geradezu herausgefordert, uns für die Ärmsten und Schwächsten einzusetzen.


Natürlich ist das nicht einfach. Es erfordert neben der grundsätzlichen Solidarität mit den Menschen auch die Bereitschaft, sich auf die eintretenden Veränderungen einzulassen, sie mit zu tragen und zu gestalten. Unser Land hat sich bereits verändert und es wird sich auch weiterhin verändern. Unsere Aufgabe ist es nicht, diese Veränderungen mit aller Macht aufzuhalten und zu versuchen, die Zeit wieder zurückzudrehen, sondern unsere Aufgabe ist es, diese Veränderungen im positiven Sinne aktiv mitzugestalten.


Von daher würde es mich freuen, wenn wir morgen gemeinsam - Politikerinnen und Politiker, Christen, Juden und Muslime, Bürgerinnen und Bürger - wenn wir alle ein Zeichen gegen solche Rückwärtsgewandheit und gegen solchen demagogischen Populismus setzen und wir uns um 14 Uhr vor dem Rathaus versammeln. Wir dürfen den sog. NRW-Patrioten unsere Stadt nicht überlassen.


Ich bin ganz zuversichtlich, dass die Menschen, die sich morgen für ein tolerantes und weltoffenes Lünen positionieren, in der Überzahl sein werden.


Und dafür möchte ich an dieser Stelle auch schon einmal Danke sagen.


Mein Dank geht an all die Menschen, die manchmal auch sehr kurzfristig selber aktiv werden und sich engagieren, um auf so etwas wie diese Kundgebung zu reagieren. Mein Dank geht aber auch an all diejenigen, die sich ebenso zeitnah von einem solchen Engagement bewegen lassen.


Lünen hat es in der Vergangenheit in vorbildlicher Weise geschafft, sich auch schwieriger Themen sach- und menschengerecht anzunehmen, z.B. mit Blick auf die „Flüchtlinge“. Eine steigende Anzahl vom Menschen engagieren sich im Arbeitskreis Flüchtlinge. Und auch dafür will ich Danke sagen.


Wir feiern heute Reformationsfest. In seinen Anfängen haben sich aus den reformatorischen Erkenntnissen schon sehr bald allerlei Spaltungen und mancherlei Streit ergeben. Es kam damals zu Verwerfungen und sogar Kriegen unter den verschiedenen Konfessionen. Es hat zum Teil sehr lange gedauert. Doch wir haben es geschafft, das Gegeneinander in ein Miteinander zu verwandeln. Vor ähnlichen Herausforderungen stehen wir heute auch. Mit diesem Blick in unsere eigene Geschichte bin ich zuversichtlich, dass wir auch die aktuellen Probleme lösen können. Wie gesagt, es wird keinen einfachen Weg geben, aber einen gangbaren, der uns hoffentlich am Ende näher zueinander führt.


Was macht nun selig?


Als ich vor einigen Jahren als Religionslehrer hier nebenan am Gymnasium in Altlünen tätig war, habe ich die Schülerinnen und Schüler der damaligen 9. Klasse gebeten, die Seligpreisungen Jesus in die heutige Zeit zu übertragen. Einige der Antworten möchte ich Ihnen vorstellen. So haben sie formuliert:

Gott sagt ja zu denen, die lernfähig sind, d.h. die nicht zu allem „nein“ sagen, sondern vorher Neues ausprobieren.


Gott sagt ja zu denen, die bereit sind, Schwächeren zu helfen.


Einen richtigen Weg gehen alle, die ihre Fehler eingestehen und zugeben.


Einen richtigen Weg gehen alle, die nicht nur an sich selbst denken, sondern auch andern Menschen in der Not helfen.


Einen richtigen Weg gehen alle, die auch ohne viel Geld glücklich sein können.


Was macht selig?


Obwohl die Seligpreisungen Jesu gute Hinweise auch für die heutige Zeit geben, die Umsetzung im eigenen Leben muss jede und jeder für sich selbst durchbuchstabieren.


Dabei kann Luthers Erkenntnis des „sola gratia“ - übersetzt „allein aus Gnade“ – weiterhelfen; denn ich glaube wir können Seligkeit aus uns heraus nicht machen, sondern sie wird uns letzten Endes geschenkt.

Aber vielleicht gelingt es uns, dass wir uns all den Dingen ein wenig mehr öffnen, von denen Jesus gesagt hat, dass sie uns Gott näher bringen.


„Verständnis für die weniger Privilegierten“, „die Fähigkeit unabänderliches Leid zu ertragen“, „Überwindung der eigenen Angst und Aggressionen durch Sanftmut“, „Einsatz für Gerechtigkeit“, „Gewährung von Barmherzigkeit“, „ohne Hintergedanken oder Vorurteile und reinen Herzens in dieser Welt zu wirken“ oder „sich aktiv für Frieden oder Menschen, die verfolgt werden, einzusetzen“.


Das ist ein großes Programm. Und nicht jede und jeder einzelne wird alles bewältigen können, was auch eine schiere Überforderung wäre. Aber gemeinsam können wir, wenn wir es wollen, uns Schritt für Schritt auf diesen Weg machen und versuchen, das uns mögliche zu tun. Auf diesem Weg begleite und helfe uns Gott. Amen.


Und der Friede Gottes, der sowohl unsere Vorstellungskraft, als auch unsere Herzensstärke übersteigt, sei mit uns allen und stärke uns. Amen.


(Michael Stache, ständig stellvertretender Superintendent des Kirchenkreises Dortmund/ MichaelStache@gmx.de)

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