Predigt zum 3. letzten Sonntag im Kirchenjahr

Liturgie und Predigt: Superintendentin Heike Proske vom Evangelischen Kirchenkreis Dortmund

Predigt am 10. November 2019 in der ev. MLK in Brambauer

Liebe Gemeinde,

Das Wetter heute:

Uns erwartet ein Hoch. Das Hoch zieht von Osten her über das ganze Land. Es heißt Frieden. Es bringt Zuversicht auf eine Rente, die bis zum Lebensende reicht. Es bringt ein freundliches Lächeln beim Warten in der Schlange an der Kasse und Jugendliche, die gerne eine Ausbildung machen, weil sie danach in einem tollen Beruf arbeiten und erfolgreich sein können. Unser Hoch heißt Frieden. Seit den frühen Morgenstunden breitet sich das Hoch Frieden bis in die Mitte Deutschlands aus. Es vertreibt die Gier nach Profit aus den Köpfen der Menschen. Supermärkte setzen auf regionale Produkte…“

So beginnt die Meditation zum Plakat der diesjährigen Ökumenischen Friedensdekade. Sie sehen es hier vorne und Sie halten hoffentlich alle das kleine Faltblatt dazu in der Hand.

Eine Wetterkarte ist darauf zu sehen, wie wir sie aus dem Fernsehen kennen. Allerdings etwas besonders. Denn was wir hier sehen, ist eine Wetterlage, die einem „Friedensklima“ entspricht. Ich sehe schon die eine und den anderen lächeln, vielleicht mit Gedanken wie: „Schön wär’s.“ Denn wir kennen unsere Wirklichkeit doch ganz gut. Dauerhaftes Friedensklima über Deutschland oder sogar Europa, national, kontinental, global – ein zu schöner Traum!

Gibt es aber nicht in unserem Leben oft eine Grenzüberschreitung, auch zwischen Traum und Wirklichkeit? Sagen wir nicht sogar manchmal: Wer keinen Mut zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Kämpfen?“

Es gibt Möglichkeiten, um träumend für die Wirklichkeit einzutreten, eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten!

Die Bibel kennt solche Chancen. Immer wieder lesen wir von Träumen, Hoffnungen, Verheißungen, die Kraft für das Leben geben, ja, die verändern, aufrütteln. Gottes Verheißungen stellen unsere Wirklichkeit immer mal wieder auf den Kopf. So auch in unserem heutigen Predigttext aus dem Lukasevangelium, Kap 6, 27-38:

PREDIGTTEXT AUS DER BIBEL IN GERECHTER SPRACHE

27Aber zu euch, die ihr zuhört, sage ich:

Liebet, die euch feindlich gegenüberstehen, und tut Gutes denen, die euch hassen. Heißt die willkommen, die euch fluchen, und betet für die, die euch schlecht behandeln.

Wenn dich jemand auf die eine Wange schlägt, halte auch die andere Wange hin, und wenn jemand dein Obergewand wegnimmt, kämpfe nicht für das Untergewand. Gib allen, die dich bitten, und fordere von denen, die von dir nehmen, nichts zurück.

Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun, so sollt auch ihr ihnen tun. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben – welchen Dank erhaltet ihr dann? Denn auch diejenigen, die Unrecht tun, lieben die, die sie lieben. Wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes getan haben, welchen Dank erwerbt ihr euch? Diejenigen, die Unrecht tun, verhalten sich auch so. Und wenn ihr denen ausleiht, von denen ihr hofft, zu erhalten, welchen Dank erhaltet ihr? Auch diejenigen, die in Unrecht verstrickt sind, leihen ihresgleichen, damit sie gleichermaßen auch erhalten.

Jedoch: Liebet eure Feinde und Feindinnen, tut Gutes und leiht aus, ohne etwas zu erhoffen! Dann wird eure Vergütung groß sein, und ihr werdet Söhne und Töchter des Höchsten, denn auch Gott wendet sich gütig den Ungütigen und Bösen zu. Habt Mitleid, wie auch Gott mit euch leidet. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. Verurteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet. Sprecht frei und ihr werdet freigesprochen! Gebt und Gott wird euch geben. Was dann in euren Schoß fallen wird, ist wie ein gutes Maß Getreide, voll gedrückt, gerüttelt, überfließend! Denn mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird Gott euch im Gegenzug abmessen. - (Ende des Bibeltextes)

Was für ein Traum, dass wir tatsächlich die, die uns feindlich gegenüberstehen, die uns vielleicht mobben oder immer wieder von oben herab behandeln, mit dem schönster aller Lächeln unseres Gesichtes begegnen sollen! Das ist schwer. Das ist wirklich nicht immer meins. Aber Moment. Ist es tatsächlich so gemeint ?

Wenn wir uns diese Passage des Lukas noch einmal ins Gedächtnis rufen, wissen wir hier im Gottesdienst: Kommt uns doch irgendwie bekannt vor. Ja. Aus zwei unterschiedlichen Richtungen: Einmal gleicht es sehr der sogenannten Bergpredigt Jesu im Mt-Ev.: selig sind die… und Liebt eure Feinde. Unser heutiger Text ist die entsprechende Fassung des Evangelisten Lukas und wird Feldrede genannt. Aber Jesus hat eine andere Ausrichtung bei den beiden inhaltlich sehr ähnlichen Reden.

Die Bergpredigt richtet sich an das Volk, die Allgemeinheit, die wissen möchte, wie die religiösen Gesetze zu befolgen sind. Die Feldrede bei Lukas geht konkret an die, die zuhören. Sie zielt in den persönlichen Bereich und nicht in das öffentliche Handeln. Und da komme ich besser mit. Na klar, wenn meine Familie, Freund*innen oder die, die ich gerne mag, sich etwas ausborgen wollen: Kein Problem. Auch wenn das Buch nicht wieder zu mir zurückfindet, es wurde bestimmt an andere weitergegeben, die sich freuen, es zu lesen. Warum soll ich mir nicht zu der einen Stunde Zeit auch noch einen ganzen Nachmittag nehmen und mich mit Freunden treffen, die darum bitten. Leuchtet sofort ein. Ist klar.

Genau diese Hilfestellung gibt uns Jesus mit dem Predigttext: fang zuerst bei dir an. Belebe deine privaten Kontakte. Sei mutig im Umgang mit denen, die dir am Herzen liegen. Du musst nicht gleich die ganze Welt retten: Familie, Freunde, Gemeinde, Nachbarschaft, Arbeitskolleginnen, Kumpels in der Schule, Uni, Ausbildung, Kneipe, im Sportverein – das sind die, mit denen du dich um gutes Zusammensein bemühen sollst. Fang an. Probier es. Das geht. Das gelingt. Das macht Mut. Das bringt dich weiter! Und dann kann dein Engagement vielleicht auch größere Kreise ziehen.

Vielleicht hilft uns ein etwas anderer Zugang:

Manchmal erhalte ich unverhofft ein Upgrade. Da bekomme ich in einem Hotel überraschend ein besseres Zimmer für das Geld, das ich für das gebuchte einfache immer gezahlt hätte. Oder ich habe plötzlich eine stärkere Internetverbindung, ohne dass ich dafür mehr bezahlen muss.

Meist bleibe ich skeptisch, auch wenn ich die Angebote gerne annehme. Denn ich weiß: Sie entspringen nicht reiner Menschenfreundlichkeit, sondern klugem ökonomischen Kalkül. Schon bei den Römern hieß es: „Ich gebe, damit du gibst.“

Was sich in unserem Alltag in der Regel unschwer als Taktik entlarven lässt, ist bei Jesus Programm. Wer das Hemd will, bekommt auch noch die Jeans umsonst mit dazu. Auch die andere Wange hinhalten, wenn die eine schon brennt vom Schlag. Nicht verleihen, sondern gleich schenken. Keine Rückforderung.

Das entspricht nicht unserer Realität. Meine Erfahrungen sind anders, darum baut sich in mir Widerstand auf.

Auf genau dieses Gefühl setzt Jesus. Einen Euro mal eben geben, eine Stunde Zeit, wenn mich jemand braucht – was ist das schon ? Nichts Besonderes. Kein Akt der Großzügigkeit, keiner Erwähnung wert.

Höflichkeit. Auch wenn die manchmal nicht mehr selbstverständlich erscheint.

Aber wenn es weiter geht, diese Minimalgrenze überschreitet, dann widerspricht es meiner Lebenserfahrung.

Wer mehr gibt, handelt in hohem Maße unvernünftig – oder - orientiert sich an anderen Maßstäben: denen der Liebe. Denn Liebe rechnet nicht, Liebe entzieht sich ökonomischen Erklärungsmodellen, weist aber einen Weg, einen neuen Weg, einen überraschenden Weg. Sozusagen ein menschliches Upgrade. Da bleibt mein Gegenüber skeptisch und erwartet meine Forderungen. Im besten Fall geht er kopfschüttelnd weiter oder hält mich für verrückt. Und ja, wenn wir mit Jesu Maßstäben anderen Menschen begegnen, ver-rücken wir die Alltagswelt. Wir heben sie sogar ein Stück aus den Angeln, um festzustellen, dass wir dadurch besser durch die Tür kommen. Aber wir müssen es wagen, riskieren, mutig genug sein.

Die zweite Akzentverschiebung Jesu ist minimal, aber hat es in sich: Wir kennen das Sprichwort: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

Ein kleiner, aber bedeutsamer Unterschied verleiht Jesu Worten eine andre Ausrichtung: „Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut auch ihnen.“

Jesus spricht positiv: Er fragt: was willst Du ? Er beklagt nicht: Das will ich nicht !

Wie selten fragen wir uns, was wir wirklich wollen. Was wir können. Worin wir unsere Begabungen haben, mit denen uns Gott ausgestattet hat. Wenn wir in unseren Gemeinden einmal den Mut hätten, in uns zu horchen, unsere Mitarbeitenden: haupt- und ehrenamtlich, ja , Sie, die heute hier sind, zu fragen: Was will ich? Was kann ich einbringen? Wo liegt meine Stärke? Gar nicht leicht. Manchmal ist es einfacher, gute Bekannte zu fragen: Was meinst du, was ich besonders gut kann, wo ich meine Begabungen habe?

Und genau das möchten wir sehen und erleben von Ihnen. Damit erfreuen Sie uns, beleben Sie uns, bringen Sie uns als Menschen, als Kirchenkreis, als Weltbürgerinnen und Weltbürger weiter. Warum lassen Sie uns nicht Ihre Gaben genießen, davon profitieren und sie Wert schätzen?

Wenn heute die Gemeindeversammlung abgekündigt worden ist, dann leben diese formalen Worte genau von Ihrer Einbringung und Ihrer Lebendigkeit. Nur damit können wir Kirche, Gemeinde, Nachbarschaft, Miteinander sein.

Auf Sie, auf Dich kommt es an! Sehen wir uns unsere Wetterkarte noch einmal an: Die Wetterlinien, die das Klima über uns und um uns zeigen, bilden mit Ihren Linien eine Friedenstaube. Was für eine wunderbare Aussicht. Diese Wetteraussichten des Friedens, des Vertrauens und der Freiheit möchten wir jeden Abend nach der Tagessschau sehen und in genau diesem friedlichen Klima leben!

Starten wir jetzt und hier und heute damit: Leben wir friedlich. Öffnen wir uns für ein Klima, das Gott mit Vertrauen und Gerechtigkeit, mit Liebe und mit Selbstüberwindung, mit Risikobereitschaft und mit Mut ausgestattet hat. Oder einfach: leben wir als Kinder Gottes, des Gottes, der uns alles geschenkt hat: Unser Leben, unsere Gaben, unsre Familie und : die besten Wetteraussichten auf ein Friedensklima.

Amen.

Heike Proske

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