Gemeindebrief für August/September 2020

Der neue Gemeindebrief liegt zum Download bereit.

Wunderbar

Ich stehe morgens vor dem Spiegel und schaue in mein müdes Gesicht. Die Falten werden mehr, die Haare dünner und grauer. Eine genaue Inspektion des restlichen Körpers lasse ich lieber, weil mir dann ganz viel auffällt, was nicht so ist, wie ich es gerne hätte. Und dann bekomme ich schlechte Laune, weil ich weder die Zeit noch die Energie habe, mich mit Diäten, Sport und Kosmetik selbst zu optimieren. Ich glaube, ich bin keine Ausnahme mit dieser Selbstkritik.

Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.

Über diesen Satz aus dem Psalm 139 stolpere ich immer wieder, wenn ich ihn lese. Was war das für ein Mensch, der nicht an sich herumkritisiert, sondern sich wunderbar findet? Und der einfach nur dankbar ist, weil er so, wie er geschaffen wurde, schon wunderbar ist. Nicht durch hartes Training und Selbstoptimierung. Einfach dankbar dafür, dass dieser Mensch Mensch ist. Kinder können das noch. Als meine Tochter ca. fünf Jahre alt war, tanzte sie durch den Garten und sang dazu: „Ich bin spitze, ich bin klasse, ich bin wunderbar!“ Jetzt mit 22 Jahren wird sie das so uneingeschränkt nicht mehr singen, weil sie gelernt hat, sich selbst und die Welt mit kritischen Augen zu sehen.

Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.

So heißt es weiter im Psalm 139. Meine Seele ist da nicht immer so weise, dies zu erkennen. Auf das Corona-virus hätte ich gut verzichten können! Es fällt immer noch schwer, auf die gewohnte Umarmung im Freundeskreis zu verzichten. Es ist mühsam, die Arbeit und das Privatleben auf längere Sicht zu planen, weil niemand weiß, wie es mit den Einschränkungen weitergeht. Und ich sehe die Menschen, die wenig Grund zur Dankbarkeit haben, weil die Pandemie ihnen ihre Lebensgrundlage entzogen hat und ich ahne, dass der Weg aus der Arbeitslosigkeit ein langer und harter wird. Aber andererseits: Es geht weiter! Wir feiern wieder Gottesdienste. Wir treffen uns wieder mit Freunden. Wir dürfen sogar wieder Urlaub machen und ins europäische Ausland fahren. Im Altenheim dürfen Angehörige sich wieder umarmen. Und bisher haben wir in Deutschland die Pandemie ganz gut gemeistert. Ich bin dankbar für die vielen Menschen, die sich für andere engagieren. Für die, die ohne Murren stundenlang Masken tragen bei der Versorgung und Pflege anderer. Dankbar für die vielen, die die Einschränkungen ohne Klage annehmen und es selbstverständlich finden, andere zu schützen. Danke, dass Gott jeden von Euch so wunderbar gemacht hat! Da erkennt meine Seele, dass seine Werke wunderbar sind! Und wenn Ihr morgens vorm Spiegel steht, sagt Euch: Ich bin wunderbar gemacht!

Pfarrerin Martina Lembke-Schönfeld

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