Predigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis 23. August 2020

Gott schenke uns ein offenes Herz für sein Wort und ein lebendiges Wort für unser Herz.

Liebe Gemeinde,


ein Gottesdienst ist eine gute Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen. Die Seele baumeln zu lassen. Eine Auszeit zu nehmen von der Betriebsamkeit und Hektik des Alltags. Abstand zu bekommen, von dem, was mich sonst den Atem anhalten lässt und mir im Nacken sitzt. Worum ich mich sorge. Auch von dem, vorauf ich stolz bin. Von dem Gelungenen und Geleisteten.

Der Gottesdienst, ein Zeit, einfach bei mir selbst zu sein. Eine Zeit, um so dazu sein, wie ich jetzt gerade bin. Eine Zeit zu atmen, durchzuatmen.


Vielen geht es in ihrem Leben darum, ein guter Mensch zu sein. Etwas Sinnvolles zur Gestaltung einer gerechteren Welt beizutragen. Im Blick auf die Zukunft der Umwelt, in den Fragen der „einen Welt“, - in der Bereitschaft, die Flüchtlinge, die in unserem Land angekommen sind, zu begleiten… um nur einige Beispiele zu nennen.


Es gibt nichts Gutes, außer man tut es, sagt Erich Kästner. Doch wer Gutes tut, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Da werden die, die ihrem Herzen folgen und für andere da sein wollen, schnell abwertend als „Gutmenschen“ bezeichnet. Ihnen wird damit zynisch unterstellt, dass sie es nur tun, damit sie vor anderen gut da stehen, um selbst als die »Guten« zu gelten.

Solche „Gutmenschen“ sind meistens schwer zu ertragen. Sie stehen stets auf einer moralisch unangreifbaren Seite. Sie haben eine reine Weste und immer Recht. Sie besitzen Macht: Als die »Guten« können sie den anderen sagen, wie zu handeln ist. Sie können auf die verächtlich herabsehen, die nicht so denken und handeln, wie sie selbst. Z.B. die, die nicht im Sinne des Gesundheitsgebots gegen das Rauchen kämpfen, nicht gegen schnelle Autos wegen der Erderwärmung, …und so fort.

Gutmenschen machen aus dem „Gutes tun“ ein Gesetz, dass sie genau einhalten wollen. Sie fordern es zugleich von den anderen und beurteilen sie danach.


Aber es gibt einen Unterschied zwischen einem Gutmenschen und einem guten Menschen. An sich sind die Ziele identisch. Es steht ja außer Frage, dass es gut ist das Klima zu schützen, für den Ausgleich von Arm und Reich zu sorgen etc. Der Unterschied besteht nicht darin, was getan wird, sondern darin, wie – in welcher Haltung – es getan wird. Der gute Mensch handelt aus seinem Herzen. Er tut Gutes, weil es dem Leben dient, nicht weil er persönlich besser dastehen will.


Ein guter Mensch handelt jeweils in einer konkreten Begegnung mit seinem Nächsten so, wie es gut für den ist. Er spürt sich von dem anderen angerührt, er öffnet sich, fühlt mit. Ihm geht es nicht um sein eigenes Recht, nicht um das Image eines »Guten«, sondern um den anderen. Er gibt freiwillig, ist selbstlos hilfsbereit. Denn er weiß, dass er selber zutiefst auf Hilfe angewiesen ist. Er handelt aus einer Kraft, die er empfängt. Er weiß, dass alle Menschen gleich sind und sie alle Hilfe brauchen.


Der gute Mensch handelt aus einer Kraft, die er geschenkt bekommt, und nicht aus eigenem Vermögen. Für ihn besteht deshalb kein Grund, darauf stolz zu sein. Kein Grund andere selbstgerecht zu verurteilen – Von diesem Gedanken spricht Jesus in einem Gleichnis:


Jesus erzählte einigen, die so überzeugt von sich waren, dass sie sich für gerecht hielten und verächtlich auf die Übrigen herabblickten folgendes Gleichnis:

»Zwei Menschen gingen hinauf zum Tempel, um zu beten.

Der eine, ein sehr korrekter, rechtgläubiger Pharisäer, der andere ein Zöllner, ein Geldeintreiber für die Römer, am Rande der Gesellschaft.

Der Pharisäer stellte sich breitbeinig, voller Selbstbewusstsein hin und betete leise vor sich:

Gott, ich danke dir,

dass ich nicht bin wie die Anderen, wie die Verbrecher, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dahinten:

Ich faste sogar zweimal in der Woche, ich gebe ein Zehntel ab von allem, was ich erwerbe.

Der Zöllner aber stand schüchtern, ganz am Rand und traute sich nicht einmal aufzublicken, sondern er schlug sich an seine Brust und sagte: Gott, sei mir Verlorenem gnädig.«

Ich sage euch, fuhr Jesus fort, der Zolleinnehmer ging in Gottes Augen als Gerechter zurück in sein Haus – ganz im Gegensatz zu dem anderen.

Denn jeder Arrogante, wie dieser eingebildete Selbstgerechte wird fallen, wer aber von sich selbst loslassen kann, wird schließlich emporsteigen.


Zwei Menschen: Ein Pharisäer – ein Zöllner. Zwei grundsätzlich unterschiedliche Haltungen.

Der eine: rechtgläubig und dazu äußerst ernsthaft. Er tut alles, was das Gesetz verlangt, sogar noch mehr: Er fastet sogar zweimal die Woche, er spendet ein Zehntel seines Einkommens. Er ist ein Muster an Rechtgläubigkeit und ein herausragendes Beispiel für gutes Handeln. Darauf ist er auch stolz. So steht er da: breitbeinig, selbstbewusst.

Im Vergleich zu dem Zöllner ist er ein „Gutmensch“ par excellence. Entsprechend sieht er selbstherrlich und abfällig auf ihn herab.

Es wäre verkehrt, dem Pharisäer seine Ernsthaftigkeit abzusprechen. Aber sein Blick ist zu sehr auf das Äußere, sein geleistetes Werk und vielleicht auch auf den äußeren Schein gerichtet. Äußerlich muss eben alles korrekt sein.


Der Geldeintreiber – wahrscheinlich im Gefühl, ohnehin nicht recht zur Gesellschaft zu gehören – er weiß, dass er in den Augen der „Guten“ auf die andere Seite gehört, ausgegrenzt, ausgeschlossen.

Aber er weiß auch, dass er alles entscheidende im Lebens nur von Gott empfangen kann. Dass alles, was wer überhaupt tun könnte, seine Gottesferne nicht aufheben würde und ihn Gott nicht näherbringt.

So neigt er seinen Blick und hält sein Herz demütig Gott hin. Mit leeren Händen bittet er um dessen liebende und lebendige Gnade: Gott sei mir Verlorenem gnädig. Er ist gewiss, nur in dieser annehmenden Demut empfängt er die Kraft und das Vermögen, Gutes zu tun.


Während der erste innerlich unberührt wieder nach Hause geht, wird der andere tatsächlich Gott begegnet sein. Jesu Urteil ist ausgesprochen deutlich: Er sieht den gesellschaftlich verhassten Geldeintreiber gerechtfertigt nach Hause gehen. Er macht damit selbst-loses Verhalten stark. Und er zeigt die Konsequenz jeder selbstgerechten Arroganz: Hochmut kommt vor dem Fall.


Die Quelle der Arroganz ist immer der Vergleich mit anderen. Meinen Selbstwert bestimme ich all zu oft dadurch, dass ich mich für besser halte als die anderen: klüger, schneller, hilfsbereiter, engagierter, frommer und gläubiger, vielleicht auch wohlhabender. Ich tue schon etwas, um zu den »Guten« zu gehören. Das beweist sich doch offensichtlich. Deshalb glaube ich zu Recht, Stolz sein zu können. – Aber bin ich das wirklich, wie ich mich nach außen gebe? Ist nicht vieles nur Fassade, ein Image, das ich von mir gebe.

Ja, ich freue mich, wenn mir etwas gut gelingt. Wenn ich etwas geschafft habe, was vielleicht nicht jeder hinbringt. Wenn ich jemandem in Sorgen und Nöten mit Rat und Tat zu Seite stehen konnte. Wenn ich mich für eine gerechte Sache engagiere …und dann nicht alles beim Alten bleibt.

Aber ist das ein Grund dafür, mir darauf etwas einzubilden? Mich arrogant gegenüber anderen zu verhalten? Das setzt mich letztlich nur unter Druck, mich stets und andauernd als klüger, schneller, frommer zu erweisen… – Wie peinlich, wenn es nicht gelingt und ich vorher den Arroganten markiert habe. Der Vergleich mit anderen kann eine Falle sein! Er führt mich zuletzt in Unfreiheit und Abhängigkeit. Erführt im Zweifel dazu, mein Bild eines »Guten« um jeden Preis aufrechterhalten zu müssen. So werde ich bestenfalls zu einem »Gutmenschen«, der stolz ist auf seine doch schon vergangenen Verdienste.


Zu einem guten Menschen werde ich, wenn ich zu meinem wahren Selbst komme. Wenn ich bin, wie ich im Augenblick bin. Wenn ich weiß, dass ich all meine Kraft nur in diesem Augenblick empfangen kann. Wenn ich nicht auf mich selbst und meine bereits vollbrachten, guten Leistungen stolz vertraue, sondern in meiner Gegenwart Gott vertraue, dem Guten, das in mir lebendig ist: Wenn ich Gott wie der Zöllner mein Herz hinhalte. Ihm bin ich schon genug, weil ich da bin. Alles, was mir in meinem Tun an Gutem gelingt, verdanke ich ihm. Er gibt die Kraft, in konkreten Situationen und Begegnungen, das Gute zu tun. – Ohne Zwang und Anstrengung und „Gut-Sein-müssen“. Vielmehr in Gelassenheit: in der Kraft, die ich für diesen Moment bekommen habe. Dann bin ich ein guter Mensch, der ich immer wieder werden soll.


Amen

Pfarrer Andreas Bader

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