Liebe Gemeinde!

 

Wir Menschen fürchten Veränderung und schaffen uns darum die Illusion von Beständigkeit und Stabilität. Im Extremfall führt diese Furcht zu einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis. Die Folge sind dann Grenzen, die alles Fremde aussperren wollen und Mauern (innere und solche aus Stein) errichten. Aber Leben ist ständiger Wechsel. Die Natur macht es uns vor. Stillstand bedeutet Tod. Leben bedeutet Veränderung, Wandel, Transformation. Wie der Dichter Hermann Hesse in seinem Gedicht „Stufen“ so treffend beschreibt:

 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

 

Was für das einzelne Menschenleben gilt, trifft in besonderer Weise auch für Gesellschaften und Kulturen zu. Nur im ständigen Zufluss neuer Ideen und gegenseitigen Austausch und Handel wachsen und blühen Kulturen und Länder, bleiben sie lebendig, dynamisch und tolerant. Auch darum ist eine Flüchtlingspolitik, die lediglich darauf abzielt, möglichst viele Hilfesuchende von deutschen Grenzen fernzuhalten, so falsch. Aber noch viel schlimmer ist es für die Menschen, die für das Aufrechterhalten unserer Illusion von heiler Welt mit dem Leben bezahlen. Wir wollen das nicht (ein)sehen. Wir schauen lieber weg. Wir schauen lieber Unterhaltungssendungen. „Verstehen Sie Spaß?“ Klingt das zynisch? Vielleicht. Ich habe schon vor 30 Jahren, als zum ersten Mal das deutsche Asylrecht verschärft wurde, gewarnt: Irgendwann kommen die abgewiesenen Asylsuchenden nicht mehr als Bittsteller, sondern mit der Waffe in der Hand. Und heute haben wir internationalen Terrorismus, der sich nicht durch Asylgesetze  oder Flüchtlingspolitik einfach aussperren lässt. Durch den Welthandel, der durch unser Kaufverhalten und unsere Bedürfnisse beeinflusst wird, werden Strukturen geschaffen, die Verarmung, Gewalt und Terror gebären. Wenn unser Staat das Geld und die Energie, welche für Abschiebemaßnahmen, Grenzsicherung, Gerichtsverhandlungen und Polizeieinsätze benötigt werden, zur Förderung der Infrastruktur jener Herkunftsländer investieren würde, würden sehr viel weniger Menschen fluchtartig zu uns kommen. Die wenigen, die dann kommen, werden eine Bereicherung für unseren Arbeitsmarkt und unsere Kultur sein. Schon jetzt machen wir die positive Erfahrung, dass jede gelungene Integration eines Flüchtlings zum Nutzen aller ist.  Wenn sich nichts verändert, werden die Zustände noch dramatischer und die Abschottungsmaßnahmen noch drastischer ausfallen. Wollen wir es wirklich so weit kommen lassen, dass wir an deutschen Grenzen Zäune mit Stacheldraht und Selbstschussanlagen sowie Mauern errichten und auf Flüchtlinge schießen, wie zu DDR Zeiten? Da sei Gott vor! Wenn unser Mitgefühl nicht jetzt einsetzt, wann dann? Wir haben nicht nur das Gebot der christlichen Nächstenliebe, sondern auch Gottes konkrete Aufforderung: Einen Fremdling sollst du nicht bedrücken und bedrängen; denn ihr seid auch Fremdlinge im Ägyptenland gewesen. (2. Mose 22,Vers20)

             

HERZliche Grüße,       
Ihr und Euer Pfarrer Uwe J. Steinmann

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