Predigt zum 2. Advent am 6. Dezember 2020

Liturgie und Predigt: Pfarrer Andreas Bader

Gott schenke uns ein offenes Herz für die Worte des Lebens und ein lebendiges Wort für unser Herz.


Liebe Gemeinde,

Habt ihr sich schon einmal überlegt, wie oft ihr im Leben auf etwas oder auf jemanden gewartet habt? Zum Beispiel auf den Bus oder die S-Bahn, oder im Wartezimmer des Arztes, bis ihr aufgerufen werdet. Oder auf ein Lebenszeichen von lieben Freunden – auf einen Brief vielleicht oder auf einen Anruf, heute eher auf eine WhatsApp-Nachricht oder eine E-Mail. Eltern warten auf eine Nachricht, dass ihre Kinder nach einem Besuch gut daheim angekommen sind. Ein Paar sehnt die Geburt ihres Kindes herbei. Heute wartet die ganze Nation, die ganze Welt auf das Ende der Pandemie. Wenn wir heute im Advent auf Heiligabend warten, dann geschieht das in einer besonderen Situation: Dieses Jahr ist das Warten ein anderes, irgendwie ein Ungewisses. Eines ist aber wohl sicher: Weihnachten 2020 wird ganz anders sein als in den vergangenen Jahren.


Es gibt wirklich viele Gelegenheiten, in denen wir mit Warten beschäftigt sind. Sie sind mit Freude verbunden, wenn wir auf etwas Schönes warten. Warten kann aber auch zur Qual werden. Das meine ich nicht nur negativ: Erinnert ihr euch noch an eure eigene Kindheit und an die Stimmungen, die ihr gerade in der Adventszeit hattet? Die vierundzwanzig Tage kamen mir immer vor wie eine Ewigkeit. Und wenn meine Schwester und ich es kaum noch aushalten wollten und immer wieder fragten: „Wie lange noch?“, dann sagte meine Oma immer gerne den Satz: „Geduld ist so fürchterlich schwer.“

Wenn ich aber heute als Erwachsener auf einen Adventskalender schaue, dann habe ich eher das Gefühl: Die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern und die Tage laufen mir in unglaublicher Geschwindigkeit davon. Nur noch achtzehn Tage bis Weihnachten – und noch so viel ist zu erledigen. Ich wünschte, es wäre noch etwas mehr Zeit - gerade in dieser Zeit von Corona, in der alles sehr viel umständlicher ist! Warten kann ich mir da kaum leisten.


Um das "Warten" geht es auch in dem Predigttext, der uns heute an diesem Adventssonntag begleitet. Er steht im Jakobusbrief. Dort heißt es:

»Wartet geduldig, liebe Schwestern und Brüder, auf die Ankunft des Herrn. Auch ein Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie den Frühjahrsregen und Spätsommerregen bekommt.

Seid also auch ihr geduldig und richtet eure Herzen fest aus; denn die Ankunft des Herrn ist nahe.«

Dreimal kommt in diesem kurzen Abschnitt das Wort „Geduld“ vor und zweimal das Wort „Warten“. Offensichtlich will damit gesagt sein, dass Warten eben etwas mit Geduld zu tun hat.

Ich fürchte allerdings, Geduld ist in unserer schnelllebigen und durch Beschränkungen geprägten Zeit noch schwerer aufzubringen als in früheren Zeiten. Wir lernen die Geduld nicht mehr, weil wir gewohnt sind, dass alles immer schneller und schneller geht und es scheint, dass alle meinen, es müsse auch so sein.

So passiert es auch in meinem Leben. Z.B., wenn ich in ein Restaurant gehe, möchte ich schnell bedient werden und es macht mich einigermaßen unruhig, wenn das Essen nicht kommt. Auch wenn am Ende die Kellnerin nicht zu finden ist, wenn ich schließlich zahlen will.

Wenn die Schlange im Supermarkt an der Kasse wieder endlos erscheint, trete ich ungeduldig von einem Bein aufs andere.

Lande ich in der Telefonschleife der Versicherung, überlege ich, ob ich lieber auflege, ehe ich stundenlang die Wartemelodie anhören muss.

Und auf den immer schneller werdenden Computern dauert mir selbst das nur Sekunden dauernde Aufbauen der Internetseite noch zu lange.

Unsere Lebensweise wird immer schneller. Im Advent spüren wir das besonders, weil in diesen Wochen mehr Termine als sonst anstehen und wir mehr erledigen wollen als im normalen Alltag.


Und nun werden wir zum Warten aufgefordert. Warum sollen wir warten? Worauf denn oder auf wen?

Spontan würden wir sagen: auf den Heiligen Abend, auf das Christkind. Vielleicht geht es aber doch um mehr, nämlich darum, dass Christus in unsere eigenen Herzen kommen will. Dass wir wieder zu uns selbst kommen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit. Christus ist Mensch geworden, damit wir wieder Kinder Gottes sein können.

Jakobus schreibt. Der Herr ist nah. Er kommt uns nah, meist für uns überraschend und unvermutet. Doch diese Nähe muss erwartet werden. Dieses Warten hat etwas mit Geduld zu tun. Warten ist nicht einfach teilnahmsloses Ab-Warten. Es ist eben gerade nicht dieses angespannte, nervöse Warten unseres Alltages, das nur ab-wartet, dass die Zeit vorbei geht. Deshalb – meint Jakobus ‑ soll ich mein Herz fest auf den gegenwärtigen Augenblick richten. Warten ist so gesehen äußerst aktiv. Es ist das geduldige Sich-Versammeln auf den Augenblick und sich zugleich offen halten für das was jetzt geschieht. Denn nur hier kann ich Gott wahrnehmen, wenn er zu mir kommt. Das Wahre und wirklich Wichtige in meinem Leben kann ich nicht durch schnellen, übereifrigen Zugriff erlangen. Gott will zu mir kommen, das kann ich aber nur erfahren, wenn ich es lerne, geduldig zu warten. Wenn ich mich zurücknehmen kann, wenn ich mich auf den Augenblick einlassen kann, wenn ich mich nicht ablenken lasse durch das, was ja alles auch noch zu tun und zu erledigen ist, wenn ich nicht gleich zum Nächsten haste, vielleicht weil mir die momentane Beschäftigung nicht schnell genug geht. Sondern wenn ich gelassen werde für den jetzigen Augenblick und beharrlich warte, dass Gott zu mir kommt. Ich bin überzeugt, dann werde ich ihn spüren, denn Gott will zu mir kommen. Eigentlich ist es ganz einfach. Aber wie alles Einfache alles andere als leicht. Aber es ist möglich und es lohnt sich!


Kennen ihr die Geschichte von der Frau, der Gott seinen Besuch versprochen hatte?

Ich erzähle sie Euch mal:

Eine Frau träumte, dass Gott ihr versprach, sie am nächsten Tag zu besuchen. Darauf war sie schon ziemlich stolz. Als Erstes machte sie sich eine Liste, was alles für diesen Besuch vorzubereiten wäre: einkaufen gleich am frühen Morgen, scheuern und putzen, aufräumen, ein Geschenk vorbereiten, Kochen und Backen. Auf einmal klopfte es an die Tür: Schnell öffnete die Frau, aber davor stand nur die Nachbarin, deren Mann vor kurzem gestorben war. Sie wollte nur ein bisschen reden. „Tut mir leid!“, sagte die Frau, „heute geht es nicht, ich bekomme Besuch, ich habe keine Zeit.“ Damit schloss sie wieder die Tür.

Nach einer Weile klopfte es von neuem. Die Frau öffnete wieder die Tür. Jetzt stand das Mädchen aus der Wohnung über ihr weinend davor: ein Junge hat ihrem Teddy den linken Arm abgerissen. „Kannst du ihn wieder annähen?“ Aber auch das Mädchen erhielt eine Abfuhr – heute nicht – und die Tür war wieder zu. Die Frau arbeitete weiter. Es klopfte zum dritten Mal: Ihr Schwiegersohn stand mit seinem kleinen Sohn vor der Tür. Ob sie eine Stunde auf den Kleinen aufpassen könne? Er hat heute noch einen wichtigen Termin. „Ich kann jetzt nicht. Ich bereite gerade einen besonderen Besuch vor. Versuch doch, eine Babysitterin zu bekommen.“

Es ging schon auf den Abend zu, als sie endlich mit allen Vorbereitungen fertig war. Aber der liebe Gott war immer noch nicht zu sehen. Die Frau machte sich Gedanken – wo mochte der liebe Gott geblieben sein?

Schließlich ging sie traurig und enttäuscht ins Bett und schlief ein. Im Traum erschien ihr wieder Gott. Da sagte sie zu ihm: „Du hattest doch versprochen, mich zu besuchen. Ich habe den ganzen Tag deinen Besuch vorbereitet. Wo bist du denn geblieben?“

Da antwortete ihr der liebe Gott: „Ja, hast du es denn nicht gemerkt? Dreimal habe ich dich aufgesucht und dreimal hast du mich abgewiesen.“ Soweit diese Geschichte.


Der Herr kommt. Gott ist uns nah, und zwar immer.

Gut, wenn wir vor lauter nervöser und hektischer Betriebsamkeit seine Nähe nicht übersehen. Denn er kommt ganz bestimmt anders, als wir es erwarten. Er kommt vor allem nicht nur am 24. Dezember, so sehr wir uns auch auf dieses Datum vorbereiten.

Nicht das 24. Türchen im Adventskalender ist das entscheidende, nein, jedes einzelne der 23 anderen ist ebenso wichtig. Ehrlich gesagt ist es so, dass wir Gott jeden Tag, jede Minute, jeden Augenblick brauchen. Jeden Tag erwarten wir seine Ankunft, jeden Tag erwartet uns seine Ankunft. In mancher Stunde der Stille früh morgens oder abends für uns allein – in Menschen, die uns scheinbar zufällig begegnen, die vielleicht sogar Anforderungen stellen und Hilfe wollen, sei es ausdrücklich oder ganz versteckt. Und wenn ihr jetzt innerlich stöhnt und denkt –jetzt auch das noch – dann hören wir wieder Jakobus: Seid geduldig, auch untereinander, stöhnt und beklagt euch nicht übereinander, richtet eure Herzen fest aus, wartet geduldig – Nehmt euch Zeit, jetzt, lasst euch ein, nur dann könnt ihr euren Mitmenschen wirklich begegnen.


Übrigens, wir können gewiss sein, dass Christus kommt. – Es ist also gar nicht nötig, dass wir im Blick auf Weihnachten in Hektik geraten. Viel besser wäre es, wir könnten es geduldig abwarten. Denn Christus kommt sicher. Vielleicht dann umso deutlicher, wenn nicht alles perfekt vorbereitet ist. Er kommt auch ohne Lichterglanz und Festessen. Er kommt, auch wenn es keinen Weihnachtsbaum und keine Geschenke gäbe. Christus kommt ganz sicher, auch in diesem Jahr – auch wenn heute alles ganz anders ist als sonst. Er kommt ‑ trotz alledem. Und darum allein geht es doch, oder etwa nicht?


Ich wünsche euch und mir, dass wir uns durch die Worte des Jakobus in unsere eigene Gegenwart rufen lassen. Wenn wir uns abhetzen, verpassen wir damit nur, was gerade jetzt ist, unser Leben und unsere Lebendigkeit. Niemand kann zu einer anderen Zeit leben, als in der Gegenwart, als in der jetzigen Situation. Niemand kann Gott anderswo spüren, als wenn er sich auf die eigene Gegenwart einlässt und Gott dort voller Hoffnung erwartet – seine Ankunft, seinen Advent.

Vielleicht ist das die Chance unserer aktuellen, schwierigen Situation: Geduldig zu sein, sich Zeit zu nehmen für den, der kommen will, ‑ Zeit für sich selbst, zu dem er kommen will ‑ und Zeit für die anderen Menschen, in denen er uns begegnet. Dann werden wir es spüren, das schönste Geschenk, das wir zu Weihnachten empfangen und weitergeben können. Dieses Geschenk könnte uns selbst so richtig glücklich machen und die anderen auch – trotzdem oder besser: vielleicht gerade, weil in diesem Jahr alles so ganz anders ist.

Es lohnt sich, warten zu üben und geduldig zu sein, denn damit kommen wir zu uns selbst, unserem wahren Leben und darin kommt Gott zu uns.


Das wünsche ich euch allen und mir selbst auch und dazu verhelfe uns Gott.


Amen.

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